Kann sein, muss aber nicht.


 

 

 

 

Ein Ex-Kumpel bezeichnete mich mal als den „Dagegenmann“. Ich halte es für eine gute Eigenschaft, sich Beschimpfungen zu eigen zu machen. Die St.-Pauli-Fans stimmen lauthals mit ein, wenn „Scheiß St. Pauli!“ gerufen wird, was die Beschimpfer noch dämlicher aussehen lässt, als sie es als Dresdner, Rostocker oder Bielefelder eh schon taten. St. Paulianer bezeichnen sich mittlerweile selbst als Zecken. Ich bin halt der Dagegenmann. Und das ist okay für mich. Natürlich vereinfacht der Ausspruch meinen komplexen Charakter mit den vielen bunten Eigenschaften eines Individiums ein kleines bisschen, was dem einfachen Geist des Urhebers entspringt und entspricht, aber komplett Unrecht hat er auch wieder nicht.

 

Immer, wenn alle ins gleiche Horn blasen, werde ich misstrauisch. Es ist doch nichts sicher. Fast immer gibt es eine zweite Möglichkeit. Ich war schon immer ein Skeptiker und eine glückliche Fügung ließ mich in der Schule den Wert einer gegenläufigen Meinung entdecken, anstatt zu lernen, wie man sich selbst glattbügelt, um Erfolg zu haben.

 

So bekam ich meine guten Noten in Deutsch für mein Misstrauen. Alle überschlugen sich, wenn der Lehrer die Bälger geschlossen in die vermeintlich richtige Richtung getrieben hatte, sodass sie das rote Haus auf dem Schulweg des Protagonisten mit der Periode der zickigen Mutter des Schriftstellers in Verbindung brachten. Alle dachten „Ahhhhh, ja, das klingt plausibel“, bis der Dagegenbub kam und meinte: „Kann sein, muss aber nicht.“

 

Dass der Autor vielleicht einfach ein Haus beschreiben wollte und auf dem Weg zum Bäcker um die Ecke nun einmal ein rotes herumstand und kein grünes, könnte doch auch sein.

 

Natürlich hatte ich Glück, dass das bei Herrn Stiasny ankam. Dafür Dank und Respekt im Nachhinein. Gibt genug autoritäre Lehrer, die keine andere Meinung oder solche Freigeister dulden mögen, und ganz ehrlich, das kann ich verstehen: Als Halbwüchsiger neigt man allgemein und in der Pubertät im Besonderen zu Übertreibungen und im Nachhinein war ich ein nässendes Furunkel am Arsch meiner Lehrer, was zu allem, was sie sagten, eine gegensätzliche Meinung vertrat.

 

 

 

Aber beim Deutschlehrer der siebten Klasse kam das an. Etwas Glück kann man ja auch mal haben, wenn man schon in der hessischen Provinz aufwächst.

 

 

 

Und seitdem schaue ich immer, ob ich nicht auch eine andere Haltung einnehmen kann, als alle anderen. Manchmal ist das nicht möglich, z.B. wenn es um die Frage geht, ob Donald Trump ein netter Mensch ist, der intelligent genug rüber kommt, dass man ihm einen Job als Paketfahrer zutrauen würde. Da sind wir uns wirklich alle einig, denke ich, wobei die Anmerkung gestattet sein muss, dass ich praktisch allen DHL-Fahrern die Befähigung ebenfalls abspreche.

 

 

 

Wenn es aber – wie momentan – einmal mehr dazu kommt, dass viel zu Viele ins gleiche Weltuntergangshorn blasen, kann ich mich wieder mal querstellen.

 

 

 

Ja, es ist schrecklich. Trump ist ein Rassist, ein Macho und ganz allgemein ein Arschloch. Er ist widerlich. Aber wenn wir ehrlich sind – das ist Hillary Clinton auch, außer vielleicht in Bezug auf das Machoding ... ich würde mich diesbezüglich aber nicht festlegen wollen.

 

Hillary Clinton ist eine Hexe. Im Mittelalter hätte man sie zur Kaiserin gekrönt oder verbrannt. Heutzutage wird sowas Präsident der Vereinigten Staaten ... fast. Ich kann nicht behaupten, dass ich mich über ihr Versagen gräme.

 

 

 

Vielleicht sind wir uns sogar einig, dass fast alle Politiker so sind. Nur, weil es bisher im Wahlkampf nicht vorkam und sich alle bei öffentlichen Auftritten fein benommen haben, heißt das doch noch lange nicht, dass sie hintenrum nicht mauscheln, kungeln und betrügen. Durch die E-Mail-Affäre wissen wir doch eigentlich ganz genau, wes Geistes Kinder Frau Clinton und ihre Kollegen sind.

 

Also, für mich war es die Wahl zwischen Pest und Cholera, und wenn man es so betrachtet, wird doch ein Schuh aus dem Ausspruch: „Donald Trump ist zwar ein Macho, Rassist und ungehobelt, aber er spricht die Sprache der einfachen Leute.“

 

Das ist der Punkt. Aus dem gleichen Grund wählten die Italiener immer und immer wieder Berlusconi. Die Wähler ahnen, dass alle Politiker gleich sind und dann wollen sie doch lieber einen, der wenigstens nicht so tut, als wäre er ein Engel, während er hintenrum Krieg anfängt, um Firmen von Verwandten Zugang zu billigem Öl zu sichern.

 

Trump wirkt dämlich, tumb und einfach gestrickt. So wie die meisten Amis.

 

 

 

Hillary Clinton dagegen ist eine gewiefte, vernetzte Politikerin. Für mich ist das eine Beschimpfung, die in meiner nach oben offenen Entrüstungsskala weit höher angesiedelt ist als „HSV-Fan“ oder „FDP-Wähler“.

 

Allein schon, dass sie die Frau eines Ex-Präsidenten ist, ist für Deutsche doch völlig absurd. Bei uns gibt es so etwas nicht. In Amerika ist man dergleichen gewohnt und wundert sich nicht mehr, wenn der Sohn der übernächste Präsident wird oder eben die Ehefrau. In Amerika herrscht seit Jahrhunderten eine politische Kaste, die Clinton wie niemand sonst verkörpert. Und in diese Welt kommt ein Quereinsteiger, den das Establishment verhindern wollte, aber nicht konnte. Allein das macht Trump verführerisch. Dass so einer von der ängstlichen, desillusionierten weißen Unterschicht gewählt wird, ist für mich überhaupt nicht unverständlich.

 

Verloren hat die Wahl das politische Establishment. Zwei Kandidaten haben gegen die seit Jahrhunderten regierende politische Kaste gekämpft, und während die Demokraten Bernie Sanders abschmettern konnten, kam bei den Reps Trump durch und wurde nun auch gewählt.

 

Die Politiker und Lobbyisten arbeiten seit Jahrzehnten auf einer abgehobenen Ebene so gut zusammen und haben den Kontakt zur Basis so umfassend verloren, dass sie auch die Macht verlieren konnten. So etwas geht nur über Populismus, und dann gewinnt leider meistens ein Rechter. Hätte auch Bernie Sanders sein können, aber das haben die Demokraten verpatzt, und nun muss es Amerika ausbaden.

 

Und ich schaue mir das interessiert an. Niemand weiß wirklich, was passieren wird, und ich habe Hoffnung.

 

Trump selbst sagte gerade erst: „Es ist jetzt anders, ich möchte ein Land, das sich gegenseitig liebt“, und interessanterweise beantwortete er die Frage, ob er im Wahlkampf zu weit gegangen sei, mit: „Nein, ich habe gewonnen.“

 

Das könnte bedeuten, dass er einfach – wie alle anderen Kandidaten – alles getan hat, um zu gewinnen, und dass die Karten jetzt wieder neu gemischt werden.

 

 

 

Mir ist bewusst, dass Kritik an Lobbyisten und die Rede von einer politischen Elite an Verschwörungstheorien erinnert, und dass die Rechten auch so etwas sagen. Da liegt eines der großen Probleme im Umgang mit den neuen Rechten. Natürlich haben die AfDler auch Punkte, an denen sie berechtigte Kritik üben. Sie ziehen nur die falschen Schlüsse. Bestes Beispiel: "Mir geht´s schlecht. Wer ist Schuld? Der, der als Letztes gekommen ist." Das ist dumm.

 

Aber schlecht geht es den Leuten, die soziale Ungerechtigkeit kann man doch nicht wegreden, und wenn daran nichts getan wird, wählen sie konfus.

 

Nicht falsch verstehen – ich hätte Trump nicht gewählt.

 

Es ist entwürdigend und peinlich für Amerika, solch einen Repräsentanten zu haben, wenn er sich nicht um 100% dreht, und für Farbige und Schwule und Lesben, eigentlich für alle Randgruppen, wird die nächste Zeit definitiv nicht leicht. Auch mir wäre es lieber gewesen, Clinton hätte gewonnen, als geringeres Risiko, aber ob Amerika weniger rassistisch geworden wäre, weiß ich nicht.

 

Amerika ist durch und durch rassistisch. Daran konnte noch nicht einmal ein farbiger Präsident etwas ändern.

 

 

 

Schwarze sind zweite Wahl. Sie verdienen weniger, sind doppelt so häufig arbeitslos und wandern in Situationen, in denen Weiße freigesprochen werden, ins Gefängnis.

 

Schwarze verdienen weniger und selbst die Reichen sind weniger reich. Oprah Winfrey erreicht auf der Liste der vermögendsten Amerikaner als reichste Afroamerikanerin nur Platz 214.

 

Das alles konnte auch Obama nicht ändern. Die meisten Werte sind sogar noch schlechter geworden. Naja, Oprah hat noch ein paar hundert Millionen dazu verdient und ist um einen Platz geklettert, aber Ausnahmen bestätigen da wohl die Regel, und sie kommt nun auch aus dem Showbusiness, mit dem Sport die einzige Branche, in der die Schwarzen oben mitmischen – als Hofnarren.

 

 

 

Amerika hat ein ganz großes Rassimusproblem, und Trump ist nicht rassistischer oder machomäßiger als alle anderen republikanischen Kandidaten vor ihm. Er sagt es halt nur laut. Seinen Wählern gefällt das. Den einen tatsächlich, weil es rassistisch ist, aber vielen auch einfach, weil das ihr Leben widerspiegelt.

 

Und: Die Reichen bescheißen nun einmal mit den Steuern. Das wissen doch die Hinterweltler aus Ontario genauso wie wir, und irgendwie gefällt es, dass er eben nicht lügt.

 

Er ist anders und das ist es in erster Linie das, was die Wähler wollten. Raus aus dem ewig währenden Trott, raus aus der Dominanz der Eliten.

 

Ja, es ist die falsche Richtung, aber vielleicht ist das „Raus“ wichtiger als die Richtung ...

 

Kann sein, muss aber nicht – und ich bin heilfroh, dass ich das von außen aussitzen kann und nicht entscheiden muss.

 

 

 

Vielleicht geht die Welt unter. Putin, Erdogan und Trump veranstalten ein zünftiges Pimmelfechten, was aufgrund der beachtlichen Kürze der Gemächte dann doch lieber mit Atomwaffen ausgetragen wird. Vielleicht gibt es blutige Rassenkriege und Amerika brennt, wie es die Pessimisten voraussagen.

 

Wer weiß. Manchmal hatte mein Deutschlehrer Herr Stiasny auch recht. Es sind nicht alle Literaturinterpretationen falsch, auch wenn ich als Dagegenfurunkel grundsätzlich dagegenredete. Kafka hatte einen despotischen Vater und nur deshalb wurde die Schabe in „Die Verwandlung“ vom Vater umgebracht.

 

Mit Äpfeln, was eine biblische Bedeutung haben kann, oder eben nicht.

 

Die Welt ist nicht schwarz und weiß, und die Medien sind momentan keine wirklich große Hilfe.

 

 

 

Vielleicht wird mit der Dumpfbacke auch alles ganz okay, er lehnt TTIP ab, hält sich aus ein paar Kriegen raus, arbeitet brav gegen das Establishment und die USA werden zwar nicht weniger rassistisch, aber eben auch nicht mehr, weil er die Hunde zurückpfeift, die er losgelassen hat, um Präsident zu werden.

 

Kann sein, muss aber nicht.

 

 

 

Niemand weiß das. Was wir aber wissen, ist, dass wir den Leuten hier in Deutschland, die von der lobbyismusdominierten Politik weg wollen, nicht nur die AfD als Alternative lassen dürfen. Denn das war es in Amerika. Es gab das „alles wie immer“ und es gab den Anderen. Und der Andere hat gewonnen.

 

Wenn das mal keine deutliche Warnung ist, weiß ich es auch nicht ...

 

 

© Thomas Nast